In einem vorherigen Artikel ist dargestellt, dass jedenfalls typischerweise ein Anspruch auf Überstundenvergütung besteht, selbst wenn nach dem Arbeitsvertrag “Mehrarbeit mit dem Gehalt abgegolten” sein soll. Etwas ganz anderes ist es aber, einen solchen Anspruch auch praktisch um- und durchzusetzen:
Nach der Einführung eines neuen Produkts ertrinkt die Reklamationsabteilung in Reklamationen. Fritz Fleissig kann sich das Elend nicht mehr ansehen und bleibt von sich aus abends eine Stunde länger, um den Poststapel nach und nach abzuarbeiten. Auch Sieglinde Schlau ist fleißig, aber nach ihren acht Stunden geht sie ganz normal nach Hause. Der Abteilungsleiter spricht Sieglinde daraufhin auf die Rückstände an, verweist auf Fritz und bittet Sieglinde, genau wie er abends eine Stunde länger zu bleiben, bis der Rückstände aufgearbeitet sind.
Im Grundsatz keine Mehrarbeitsvergütung ohne Anweisung
Fritz Fleissig mag seinen Namen zu recht tragen, auszahlen wird sich sein Fleiß für ihn aber nicht unbedingt oder nur mit Schwierigkeiten. Fritz hat “einfach eine Stunde länger gearbeitet”, er hat seine Bürozeit freiwillig und ohne Rücksprache ausgedehnt. Dann kann er nicht erwarten, dass diese Zeit zusätzlich bezahlt wird. Es wäre ja auch möglich, dass Fritz im Büro nebenbei noch private Dinge erledigt oder einfach herumgetrödelt und die für die Arbeit verlorene Zeit dann einfach nachgeholt hat.
Anders bei Sieglinde Schlau: Sie erhielt von dem Abteilungsleiter die Aufforderung, eine Stunde am Tag länger zu arbeiten. Damit lag eine Arbeitsanweisung vor, selbst wenn sie als Bitte formuliert wurde. Beide Seiten müssen dann davon ausgehen, dass diese Mehrarbeit auch bezahlt wird. Sieglinde kann sich also ohne weiteres auf einen Gehaltszuschlag freuen.
Stolperstein Beweislast
Dieses Ergebnis ist natürlich für Fritz mehr als unbefriedigend. Tatsächlich kann eine Mehrarbeitsvergütung nach der Rechtsprechung des BAG auch schon dann verlangt werden, wenn die Überstunden von dem Arbeitgeber gebilligt, bewusst geduldet oder notfalls einfach unbedingt notwendig waren. Es kann also genügen, wenn dem Arbeitnehmer die Mehrarbeit bekannt ist und er sie zusätzlich ausdrücklich oder zumindest stillschweigend hinnimmt. Ebenso, wenn der Arbeitnehmer sie in einem echten Notfall erbringt, ohne Rücksprache halten zu können.
In unserem Beispiel bezog sich der Abteilungsleiter gegenüber Sieglinde auf Fritz und hat dessen Mehrarbeit damit gebilligt. Deshalb würde auch Fritz hier im Ergebnis sein Geld erhalten. Nur: Die Voraussetzungen für das Entstehen einer Überstundenvergütung muss der Arbeitnehmer beweisen. Das macht erfahrungsgemäß große Schwierigkeiten, wenn keine ausdrückliche Anweisung vorlag. Schon aus diesem Grund sollte Mehrarbeit immer mit dem Arbeitgeber abgestimmt werden.
Hinzu kommt noch, dass der Arbeitnehmer auch den Umfang der Mehrarbeit beweisen muss, und zwar sehr genau. Die Rechtsprechung verlangt eine tages- und stundengenaue Darlegung. Es gibt genügend Fälle, in denen Vergütungsansprüche an diesem Punkt gescheitert sind. Wird die Mehrarbeit nicht genauestens dokumentiert, macht es allergrößte Schwierigkeiten, im Nachhinein die genaue tägliche Arbeitszeit festzustellen. Dies gilt zumindest dann, wenn es keine automatisierte Zeiterfassung gibt.
Schon aus diesen Gründen sollten Ansprüche aus Mehrarbeit auch zeitnah geltend gemacht und abgerechnet werden. Häufig genug geschieht das erst nach langer Zeit, gesammelt zum Jahresende oder sogar erst bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Dann sind Ansprüche schon aus Beweisgründen oft nicht mehr durchsetzbar.
Häufig kurze Ausschlussfristen
Hinzu kommt, dass viele Arbeits- und Tarifverträge kurze Ausschlussfristen vorsehen. Oft müssen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von drei Monaten geltend gemacht und spätestens nach weiteren drei Monaten gerichtlich verfolgt werden. Solche Fristen sind durchaus zulässig. Werden sie versäumt, verfallen die Ansprüche ersatzlos. Unserem Fritz ist deshalb zu raten, seine Überstunden schnellstmöglich bei dem Abteilungsleiter anzumelden und absegnen zu lassen.